Verhinderung einer Aktion am Weltumwelttag in Leipzig
5. Juni 1989
Information Nr. 273/89 über die Verhinderung einer geplanten provokatorisch-demonstrativen, öffentlichkeitswirksamen Aktion in Leipzig anlässlich des Weltumwelttages
Hinlänglich bekannte feindliche, oppositionelle und andere negative Kräfte, insbesondere Mitglieder der personellen Zusammenschlüsse »Initiativgruppe Leben«1 und »Arbeitsgruppe Umweltschutz« beim Jugendpfarramt Leipzig,2 vorwiegend Organisatoren von in jüngster Zeit in der Stadt Leipzig durchgeführten öffentlichkeitswirksamen Provokationen, planten unter vorgetäuschter Bezugnahme auf den Weltumwelttag am 4. Juni 1989 einen sogenannten Pleißemarsch.3
Beginnend mit einer Andacht in der Paul-Gerhardt-Kirche in Leipzig-Connewitz um 14.00 Uhr sollte in Form eines sogenannten Pilgerweges eine Wegstrecke von ca. 5 km bis zur zentral am Stadtring gelegenen Reformierten Kirche zurückgelegt werden. Dort war in der Zeit von 17.00 bis 22.00 Uhr eine Abschlussveranstaltung vorgesehen.
Die Publizierung für dieses Vorhaben erfolgte im Rahmen kirchlicher Veranstaltungen, durch Hinweise in sogenannten Informationsblättern, Flugblätter (Stadtgebiet Halle) und durch »Flüsterpropaganda«.
Das angestrebte Ziel dieser geplanten Aktion, für die durch das Evangelisch-Lutherische Jugendpfarramt Leipzig die Verantwortung übernommen wurde (Beantragung der Durchführung dieser Veranstaltung bei der zuständigen Abteilung Erlaubniswesen der DVP) und für die die Zustimmung des Landeskirchenamtes der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens vorlag (Brief des Landeskirchenamtes an den Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes für Inneres in dieser Sache), sollte nach streng intern vorliegenden Hinweisen darin bestehen,
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feindliche, oppositionelle Kräfte durch eine öffentliche Demonstration aufzuwerten und moralisch zu stärken,
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durch das Erreichen einer hohen Öffentlichkeitswirksamkeit Sympathisanten zu gewinnen und Bürger »in Bewegung zu bringen«,
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den gegebenen Handlungsraum für derartige Aktivitäten und die »Belastbarkeit« des Staates zu testen.
Zur Unterbindung dieser geplanten provokatorisch-demonstrativen, öffentlichkeitswirksamen Aktion wurden durch die Schutz- und Sicherheitsorgane im Zusammenwirken mit den staatlichen Organen und gesellschaftlichen Kräften auf der Grundlage eines von der Bezirksleitung der SED bestätigten Planes entsprechende Maßnahmen durchgeführt.
So wurden mi 63 Personen4 aus dem Kreis der Inspiratoren und Organisatoren und deren Umfeld Disziplinierungsgespräche durchgeführt, in denen sie schriftlich belehrt und ihnen Auflagen erteilt wurden, sich nicht an diesem Vorhaben zu beteiligen.
Im Ergebnis gezielter Kontrollmaßnahmen wurden am 3. bzw. am 4. Juni 1989 insgesamt neun Personen wegen des dringenden Verdachts der Teilnahme zugeführt. (Acht Personen davon waren bereits schriftlich belehrt worden.) Sie wurden jeweils am gleichen Tag wieder entlassen.
Außerdem fanden durch Vertreter staatlicher Organe Gespräche mit zuständigen kirchenleitenden Personen, darunter mit Bischof Hempel5 statt, in denen die staatliche Erwartungshaltung dargelegt wurde. Sie sicherten zu, sich dafür einzusetzen, es nicht zu einer offenen Konfrontation zwischen Staat und Kirche kommen zu lassen, bedauerten jedoch die staatliche Entscheidung der Nichtgenehmigung dieses »Pleißemarsches«.6
Eine Übernahme jeglicher Verantwortung für mögliche Aktivitäten außerhalb der kirchlichen Räume lehnten die kirchlichen Amtsträger ab, wobei sie darauf verwiesen, dass das Verbot des Marsches den kirchlichen Gemeinden und Basisgruppen mitgeteilt worden sei.
Im Ergebnis der zielgerichteten und konsequenten Realisierung der festgelegten Maßnahmen konnte die geplante provokatorisch-demonstrative, öffentlichkeitswirksame Aktion verhindert werden. Die Maßnahmen erwiesen sich als zweckmäßig und haben sich bewährt Die öffentliche Ordnung und Sicherheit in Leipzig wurde durchgängig gewährleistet.7
Am Gottesdienst am 4. Juni 1989, 14.00 Uhr, in der Paul-Gerhardt-Kirche in Leipzig-Connewitz nahmen ca. 800 Personen teil, darunter zahlreiche Familien mit Kleinkindern. Die von Prof. Nowak,8 Sektion Theologie der Karl-Marx-Universität Leipzig, gehaltene Andacht während dieser Veranstaltung, die der Umweltproblematik gewidmet war, enthielt keine politisch negativen Aussagen. Jugendpfarrer Kaden9 informierte die Teilnehmer über die staatliche Nichtgenehmigung des »Pilgerweges«. Er kündigte eine eigene Erklärung zur Nichtgenehmigung sowie die Forderung nach Unterbreitung eines staatlichen Angebotskataloges zur »tätigen Mitarbeit der Basisgruppen bei der Sanierung der Pleiße« an.10 Dieser solle dem Rat des Bezirkes bzw. dem Rat der Stadt Leipzig kurzfristig übergeben werden.
Nach Abschluss des Gottesdienstes verließ die Mehrzahl der Teilnehmer die Kirche in verschiedenen Richtungen. Ca. 150 Personen bewegten sich in losen Gruppen in Richtung der vorgesehenen Strecke des »Pleißemarsches« und wurden deshalb durch Angehörige der DVP abgedrängt. Etwa 40 Personen passierten anschließend die Karl-Liebknecht-Straße. Sie verharrten, zum Teil sitzend, kurzfristig vor dem Gebäude der SED-Bezirksleitung und begaben sich nach Aufforderung der DVP zur Auflösung geschlossen in eine Nebenstraße, wo sich weitere Teilnehmer am Gottesdienst eingefunden hatten. Da dieser Personenkreis den wiederholten Aufforderungen der DVP, den Handlungsraum zu verlassen, nicht Folge leistete, wurden insgesamt 74 männliche Personen, darunter fünf Antragsteller auf ständige Ausreise,11 zugeführt (43 Personen sind in Leipzig, 3112 Personen in anderen Bezirken der DDR wohnhaft).13
Ihre Entlassung erfolgte zeitlich versetzt bis zum 5. Juni 1989, gegen 0.15 Uhr.
Gegen die Betreffenden werden nach umfassender Prüfung ihrer Tatbeteiligung differenziert Ordnungsstrafmaßnahmen realisiert.
Die in der Zeit von 17.30 Uhr bis 21.50 Uhr stattgefundene sogenannte Abschlussveranstaltung in der Reformierten Kirche (ca. 650 Teilnehmer) verlief ohne Vorkommnisse. Es wurde eine an den Ministerrat der DDR gerichtete Eingabe14 verlesen, in der die Sanierung der Pleiße gefordert wird.
In allen Handlungsräumen wurden keine westlichen Korrespondenten festgestellt.