Verlauf der »Europäischen Ökumenischen Versammlung«
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Information Nr. 310a/89 über bemerkenswerte Aspekte zum Verlauf der »Europäischen Ökumenischen Versammlung« (EÖV) vom 15. bis 21. Mai 1989 in Basel/Schweiz
Die »Europäische Ökumenische Versammlung« (EÖV)1 wurde unter dem Motto »Frieden in Gerechtigkeit« durchgeführt. Veranstalter waren gleichberechtigt die »Konferenz Europäischer Kirchen« (KEK)2 und der »Rat der Europäischen Bischofskonferenzen« (CCEE).3
Im Rahmen der Zusammenarbeit von KEK und CCEE bzw. von römisch-katholischer Kirche und Weltkirchenrat (ÖRK)4 wurde erstmalig eine »Europäische Ökumenische Versammlung« durchgeführt; sie gilt als größte ökumenische Begegnung seit 500 Jahren. Die EÖV ordnete sich unmittelbar in den vom Weltkirchenrat getragenen konziliaren Prozess für »Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung« (JPIC) ein und sollte die lokalen und nationalen Aktivitäten der Christen in Europa auf kontinentaler Ebene verknüpfen.
An der Tagung nahmen 638 Delegierte der 120 Mitgliedskirchen der KEK sowie der 25 regionalen europäischen Bischofskonferenzen teil. Ferner waren in Basel 178 Berater bzw. Beobachter und ca. 500 akkreditierte Journalisten aus allen Teilen der Welt anwesend.
Aus Kirchen der DDR waren insgesamt 81 offizielle Delegierte vertreten, die an einzelnen Veranstaltungen teilnahmen und sich entsprechend des geplanten Ablaufs mit vorbereiteten Referaten u. a. Beiträgen beteiligten. Arbeitsformen der EÖV waren öffentliche Plenarsitzungen und thematische Beratungen in ca. 20 Arbeitsgruppen, eine »Zukunftswerkstatt Europa«, während der 121 kirchliche und andere Gruppen in Form eines sogenannten Marktes der Möglichkeiten ihre Aktivitäten im konziliaren Prozess vorstellten, sowie ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Hearings, Vorträgen, Gemeindeabenden, Ausstellungen und dergleichen mit über 6 000 Besuchern.
In den Arbeitsgruppen erarbeiteten die Teilnehmer ein Dokument der Tagung. Delegierte aus der DDR waren vor allem in folgenden Arbeitsgruppen vertreten:
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»Menschenrechte, Partizipation und Demokratisierung;
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Die Überwindung der Institution des Krieges – die Absage an die Gewalt und die Kirchen;
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Unsere gemeinsame Verpflichtung (sozialethische Fragen);
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Das biblische Verständnis von Gerechtigkeit«.
Das Schlussdokument wurde am 20. Mai 1989 im Plenum mit großer Mehrheit verabschiedet.5
Es enthält grundsätzliche Aussagen zur besonderen Verantwortung Europas für eine friedliche und gerechte Welt. »Auf dem Weg zum Europa von morgen« wurden drei Entwicklungen als bedeutsam genannt:
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Verbesserung der Ost-West-Beziehungen im Rahmen des KSZE-Prozesses;6
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Die demokratischen Reformen in der UdSSR und anderen sozialistischen Ländern;
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Der Integrationsprozess in Westeuropa.
Die europäischen Staaten werden aufgefordert, auf Gewalt zur Lösung von Konflikten zu verzichten. Das System der atomaren Abschreckung solle durch kooperative und rein defensive Sicherheitsstrukturen abgelöst werden. Menschenrechtsverletzungen werden insbesondere mit Bezug auf die 3. Welt verurteilt und die Regierungen aufgefordert, für die Einhaltung internationaler Menschenrechtsabkommen zu sorgen. Im Abschnitt Gerechtigkeit wandten sich die Delegierten u. a. gegen den Rassismus und forderten die Abschaffung »aller Restriktionen« gegen »Flüchtlinge und Wanderarbeiter«. In einem weiteren Komplex wird zu Umweltproblemen Stellung bezogen. Die Eröffnungspredigt der EÖV wurde von Propst Falcke7 (Erfurt) gehalten.
In der vom Veranstalter zum Gottesdienst herausgegebenen Pressemeldung wurde Propst Falcke als ein Theologe aus der DDR bezeichnet, der den Weg der Kirchen in einer sozialistischen Gesellschaft mit eigenen kritischen Beiträgen begleitet. Er vertrete die Überzeugung, der Sozialismus sei veränderungsbedürftig. Propst Falcke, der eine im Sinne des Themas der EÖV theologisch gehaltene Predigt hielt, machte lediglich auf die Trennung Europas und der Kirchen durch Grenzen und Spaltung aufmerksam.
Auf Ablehnung der Delegierten stieß ein Referat von David Steel,8 Großbritannien (Mitglied des Unterhauses und der Labourpartei). In seinen vorwiegend theologisch und politisch konservativen Ausführungen betonte er die Notwendigkeit wirtschaftlicher Umgestaltung in den sozialistischen Ländern. Die westeuropäischen Staaten hätten die Pflicht, diese Umgestaltung finanziell und durch die Ausbildung entsprechender Kader zu unterstützen. Delegierte wiesen den gesellschaftspolitisch angelegten Teil des Referates als nicht zum Thema der EÖV gehörend zurück.
Von den Delegierten als ein Höhepunkt der Plenarveranstaltungen gewertet wurde das Referat der Delegierten aus der DDR, Pastorin Annemarie Schönherr,9 die zum Thema »Frieden in Gerechtigkeit« sprach. Sie bezeichnete den Frieden in Europa als Voraussetzung für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt. In diesem Zusammenhang würdigte sie den »ausschließlichen Verteidigungscharakter« der Militärdoktrin des Warschauer Vertrages10 sowie die Truppenreduzierung und Umstrukturierung des Militärpotenzials auf Verteidigung in den sozialistischen Ländern als Hoffnungszeichen.11 Pastorin Schönherr sprach sich dafür aus, die Existenz zweier deutscher Staaten zu respektieren und wies Wiedervereinigungsbestrebungen als wirklichkeitsfremd zurück. Erfolgversprechender als die Naht zwischen den Gesellschaftssystemen zu beklagen sei, sie als Chance für einen Dialog zu nehmen. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wäre die Schaffung einer »Zone des Vertrauens«, frei von jeglichen Angriffswaffen.
Auf einer anschließenden Pressekonferenz vertrat sie erneut konsequent diesen Standpunkt. Fragen eines Teilnehmers an der Pressekonferenz nach Inhalten der Ökumenischen Versammlungen in Dresden und Magdeburg, in denen Forderungen nach »Wiedervereinigung« und mehr Gerechtigkeit in der DDR erhoben worden seien,12 wies sie als für die EÖV nicht diskutierfähig zurück mit der Begründung, dass die dort eingebrachten Vorlagen das Ziel verfolgt hätten, den Sozialismus zu untergraben.
Auf die Rede im Plenum und Ausführungen auf der Pressekonferenz der Pastorin Schönherr wurde von der EÖV mit starkem Beifall reagiert; ihr Auftreten wurde von Delegierten und der internationalen Presse als weltoffen und konstruktiv gewertet.
Im Rahmen des Ablaufplanes der EÖV waren Delegierten aus der DDR weitere Wirkungsmöglichkeiten in der »Zukunftswerkstatt Europa« eingeräumt. Auf einer Fläche vor der Ausstellungshalle präsentierten Vertreter der DDR Aktivitäten von kirchlichen Basisgruppen13 (Ausstellung einiger Dokumente der Ökumenischen Versammlungen in Dresden und Magdeburg; Aufzeigen von Aktivitäten zu Umweltfragen in begrenzten territorialen Bereichen der DDR). Der Stand wurde von Besuchern wenig frequentiert. Internen Hinweisen zufolge wurden die dargestellten Probleme als zu sehr DDR-bezogen gewertet; sie hätten nicht dem europäischen Geist der Tagung entsprochen; teilweise sei die Heraushebung der DDR-Probleme auf Missfallen gestoßen (verantwortlich für diese Ausstellung waren u. a. die Delegierten Garstecki,14 Misselwitz,15 Ziemer16).
Im Gegensatz dazu fanden die Stände der »Christlichen Friedenskonferenz« der DDR17 und der ČSSR reges Interesse, da sie, ausgehend vom globalen Anliegen des konziliaren Prozesses, Beiträge der Christen in den sozialistischen Ländern zu Problemen »Frieden in Gerechtigkeit« vorstellten und die Konzeption »Kirche im Sozialismus«18 vermittelten.
In einer im Rahmen der EÖV stattgefundenen planmäßigen Veranstaltung der »Christlichen Friedenskonferenz« am 17. Mai 1989 zum Thema der EÖV, an der ca. 1 000 Personen teilnahmen, beantworteten Prof. Fink19 (Berlin) und Dr. Heyde20 (Dresden) Fragen im Zusammenhang mit dem Umweltschutz und den Kommunalwahlen in der DDR.21 Konstruktiv und sachlich wurden von ihnen die engagierte Mitwirkung der Christen in staatlichen Formen des Umweltschutzes sowie der demokratische Charakter des Wahlsystems in der DDR dargestellt.
Von realistischen Kräften der EÖV wurde intern geäußert, die Aktivitäten der »Christlichen Friedenskonferenz« in Basel sowie das Auftreten marxistischer Wissenschaftler aus der UdSSR, der ČSSR und der DDR seien von zahlreichen Teilnehmern als informativer und gewinnbringender Beitrag zur EÖV gewertet worden. Sie hätten zum Teil erstmalig Kenntnis über Wirkungsmöglichkeiten von Christen in sozialistischen Ländern vermittelt und vorhandene kontroverse Ansichten dazu abgebaut.
Der Verlauf und die in Basel verabschiedeten Dokumente der EÖV enthielten im Wesentlichen keine sozialismusfeindlichen oder DDR-feindlichen Aussagen. Internen Äußerungen einiger Delegierter aus der DDR zufolge (u. a. Garstecki) seien die Inhalte der Veranstaltungen eher »westlastig« gewesen; Probleme um einen demokratischen, ökologischen Sozialismus mit »gerechten Beziehungen« hätten keine Rolle gespielt.
Für einige Teilnehmer der DDR-Delegation seien die angeblich mangelnden Möglichkeiten offizieller Auftritte und Mitwirkung enttäuschend gewesen. Die EÖV habe für DDR-spezifische Probleme »bedauerlicherweise nicht das nötige Interesse gezeigt«.
Im Vorbereitungsausschuss für den Entwurf des Abschlussdokuments der EÖV hätten Delegierte der osteuropäischen Länder unzureichende Möglichkeiten der Beteiligung gehabt; Delegationen aus westeuropäischen Ländern hätten sich als »Herren des europäischen Hauses aufgeführt«; auf die Akzentverschiebungen zugunsten westeuropäischer Themen in Basel hätten einige Delegierte aus den Kirchen der DDR während der EÖV sensibel reagiert (Ruth Misselwitz).
Auf Initiative der DDR-Delegierten Garstecki und Ziemer (Dresden) fand in Basel am Rande der EÖV ein internes Treffen ausgewählter Delegierter aus sozialistischen Ländern statt mit dem Ziel, der »einseitigen Westorientierung« der Tagung entgegenzutreten und sogenannte Probleme der Kirchen in sozialistischen Staaten in Dokumente der Tagung einzubringen. Beabsichtigt war von ihnen die Formulierung eines Vorschlages an die EÖV, Fragen der Demokratie, des Wehrdienstes und der Reisemöglichkeiten in der DDR im Abschlussdokument der EÖV aufzunehmen und damit zu internationalisieren. Diese Absichten konnten sie aufgrund der ablehnenden Haltung anwesender realistischer Kräfte aus sozialistischen Ländern nicht verwirklichen.
Auftreten und Wirken auf realistischen Positionen stehender Delegierter aus der DDR und aus anderen sozialistischen Ländern trugen wesentlich zur Zurückdrängung des Einflusses jener Teilnehmer aus der DDR (wie Ziemer, Garstecki, Misselwitz, Fischbeck22) bei, die sich zum Ziel gesetzt hatten, sogenannte Problemfelder der Kirchen in der DDR möglichst öffentlichkeitswirksam und umfassend vor internationalem Teilnehmerkreis darzustellen.
Auch bedingt durch das globale Anliegen des konziliaren Prozesses und des Mottos der EÖV fanden die politischen Inhalte und Forderungen, die in Dokumenten der Ökumenischen Versammlungen in Dresden und Magdeburg enthalten waren, keine Resonanz und keine Aufnahme in Konferenzdokumente.
Die langfristig angelegten staatlichen Maßnahmen zur intensiven Beeinflussung der Mitglieder der DDR-Delegation, insbesondere die seitens zuständiger Vertreter staatlicher Organe durchgeführten Gespräche, haben sich bewährt und wesentlich dazu beigetragen, die seitens politisch negativer Kräfte verfolgten Absichten zu durchkreuzen.
Die auf der EÖV getroffenen Grundaussagen zu christlicher Verantwortung in Europa für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung stimmen weitestgehend mit den politischen Positionen der sozialistischen Länder überein. Sie dokumentieren die Prioritäten für das Handeln der Kirchen im europäischen Kontext.
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