Verlauf der »Europäischen Ökumenischen Versammlung« (Kurzfassung)
30. Juni 1989
Information Nr. 310b/89 über bemerkenswerte Aspekte zur »Europäischen Ökumenischen Versammlung« (EÖV) vom 15. bis 21. Mai 1989 in Basel/Schweiz
In Zusammenarbeit der »Konferenz Europäischer Kirchen« (KEK)1 und des »Rates der Europäischen Bischofskonferenzen« (CCEE)2 bzw. von römisch-katholischer Kirche und Weltkirchenrat (ÖRK)3 wurde unter dem Motto »Frieden in Gerechtigkeit« erstmalig eine »Europäische Ökumenische Versammlung« durchgeführt;4 sie gilt als größte ökumenische Begegnung seit 500 Jahren (638 Delegierte, 178 Berater/Beobachter, ca. 500 akkreditierte Journalisten). Die EÖV ordnete sich unmittelbar in den vom Weltkirchenrat getragenen konziliaren Prozess für »Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung« ein und sollte die lokalen und nationalen Aktivitäten der Christen in Europa auf kontinentaler Ebene verknüpfen.
Aus Kirchen der DDR waren insgesamt 81 offizielle Delegierte vertreten.
Die langfristig angelegten staatlichen Maßnahmen zur intensiven Beeinflussung der Mitglieder der DDR-Delegation, insbesondere die seitens zuständiger Vertreter staatlicher Organe durchgeführten Gespräche, haben wesentlich dazu beigetragen, die von politisch negativen Kräften verfolgten Absichten zu durchkreuzen.
Auftreten und Wirken auf realistischen Positionen stehender Delegierter aus der DDR und aus anderen sozialistischen Ländern trugen zur Zurückdrängung des Einflusses jener Teilnehmer aus der DDR bei, die sich zum Ziel gesetzt hatten, sogenannte Problemfelder der Kirchen in der DDR möglichst öffentlichkeitswirksam und umfassend vor internationalem Teilnehmerkreis darzustellen.
Auch bedingt durch das globale Anliegen des konziliaren Prozesses und des Mottos der EÖV fanden die bekannten politischen Inhalte und Forderungen, die z. B. in Dokumenten der Ökumenischen Versammlungen in Dresden und Magdeburg enthalten waren,5 keine Resonanz und keine Aufnahme in Konferenzdokumente.
Die auf der EÖV getroffenen Grundaussagen zu christlicher Verantwortung in Europa für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung stimmen weitestgehend mit den politischen Positionen der sozialistischen Länder überein. Sie dokumentieren die Prioritäten für das Handeln der Kirchen im europäischen Kontext.
Von den Delegierten als ein Höhepunkt der Plenarveranstaltungen gewertet wurde das Referat der DDR-Delegierten, Pastorin Annemarie Schönherr,6 die zum Thema »Frieden in Gerechtigkeit« sprach. Sie bezeichnete den Frieden in Europa als Voraussetzung für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt. In diesem Zusammenhang würdigte sie den »ausschließlichen Verteidigungscharakter« der Militärdoktrin des Warschauer Vertrages7 sowie die Truppenreduzierung und Umstrukturierung des Militärpotenzials auf Verteidigung in den sozialistischen Ländern als Hoffnungszeichen.8 Pastorin Schönherr sprach sich dafür aus, die Existenz zweier deutscher Staaten zu respektieren und wies Wiedervereinigungsbestrebungen als wirklichkeitsfremd zurück. Erfolgversprechender als die Naht zwischen den Gesellschaftssystemen zu beklagen sei, sie als Chance für einen Dialog zu nehmen. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wäre die Schaffung einer »Zone des Vertrauens«, frei von jeglichen Angriffswaffen.9
Auf einer anschließenden Pressekonferenz vertrat sie erneut konsequent diesen Standpunkt. Fragen eines Teilnehmers an der Pressekonferenz nach Inhalten der Ökumenischen Versammlungen in Dresden und Magdeburg, in denen Forderungen nach »Wiedervereinigung« und mehr Gerechtigkeit in der DDR erhoben worden seien, wies sie als für die EÖV nicht diskutierfähig zurück mit der Begründung, dass die dort eingebrachten Vorlagen das Ziel verfolgt hätten, den Sozialismus zu untergraben.10 Auf die Rede im Plenum und Ausführungen auf der Pressekonferenz der Pastorin Schönherr wurde von den dort Anwesenden mit starkem Beifall reagiert; ihr Auftreten wurde von Delegierten und der internationalen Presse als weltoffen und konstruktiv gewertet.
In einer planmäßigen Veranstaltung der »Christlichen Friedenskonferenz«11 am 17. Mai 1989 zum Thema der EÖV, an der ca. 1 000 Personen teilnahmen, beantworteten Prof. Fink12 (Berlin) und Dr. Heyde13 (Dresden) Fragen im Zusammenhang mit dem Umweltschutz und den Kommunalwahlen in der DDR.14 Konstruktiv und sachlich wurden von ihnen die engagierte Mitwirkung der Christen in staatlichen Formen des Umweltschutzes sowie der demokratische Charakter des Wahlsystems in der DDR dargestellt.
Von realistischen Kräften der EÖV wurde intern geäußert, die Aktivitäten der »Christlichen Friedenskonferenz« in Basel sowie das Auftreten marxistischer Wissenschaftler aus der UdSSR, der ČSSR und der DDR seien von zahlreichen Teilnehmern als informativer und gewinnbringender Beitrag zur EÖV gewertet worden. Sie hätten zum Teil erstmalig Kenntnis über Wirkungsmöglichkeiten von Christen in sozialistischen Ländern vermittelt und vorhandene kontroverse Ansichten dazu abgebaut.
Im Rahmen des Ablaufplanes der EÖV waren den Delegierten aus der DDR Wirkungsmöglichkeiten in der »Zukunftswerkstatt Europa« (Ausstellungshalle) eingeräumt worden. Aktivitäten sogenannter kirchlicher Basisgruppen15 (Ausstellung einiger Dokumente der Ökumenischen Versammlungen in Dresden und Magdeburg; Aufzeigen von Aktivitäten zu Umweltfragen in begrenzten territorialen Bereichen der DDR) fanden wenig Resonanz und stießen wegen der Heraushebung der DDR-Probleme zum Teil auf Missfallen. Im Gegensatz dazu fanden die Stände der »Christlichen Friedenskonferenz« der DDR und der ČSSR reges Interesse, da sie, ausgehend vom globalen Anliegen des konziliaren Prozesses, Beiträge der Christen in den sozialistischen Ländern zu Problemen »Frieden in Gerechtigkeit« vorstellten und die Konzeption »Kirche im Sozialismus«16 vermitteln.
Versuche der DDR-Delegierten Garstecki17 und Ziemer18 (Dresden), am Rande der EÖV ein internes Treffen ausgewählter Delegierter aus sozialistischen Ländern mit dem Ziel durchzuführen, der »einseitigen Westorientierung« der Tagung entgegenzutreten und sogenannte Probleme der Kirchen in den sozialistischen Staaten in Dokumente der Tagung einzubringen, scheiterten aufgrund der ablehnenden Haltung anwesender realistischer Kräfte aus den sozialistischen Ländern.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.