Wirken des »Neuen Forums« und anderer Sammlungsbewegungen
7. November 1989
Information Nr. 496/89 über das Wirken des »Neuen Forums«, weiterer Sammlungsbewegungen und damit im Zusammenhang stehende beachtenswerte Probleme
Die in der Information des MfS Nr. 485/89 vom 30. Oktober 1989 dargestellten Tendenzen der DDR-weiten Formierung der bekannten Sammlungsbewegungen setzten sich im Zeitraum vom 30. Oktober bis 5. November 1989 in den aufgezeigten Grundrichtungen unvermindert fort.
Die Legalisierung des »Neuen Forums«1 wird entsprechend dem an Rechtsanwalt Gysi2 durch das MdI übermittelten Zwischenbescheid allgemein am 8. November 1989 erwartet, jedoch nur noch als formaler Akt angesehen. (Nach streng internen Informationen beabsichtigen Führungskräfte diese Entscheidung zu nutzen, um »Freudendemonstrationen« durchzuführen.)
Als nach wie vor begünstigend für die Formierung des »Neuen Forums« und anderer Sammlungsbewegungen wird – vorliegenden Hinweisen zufolge – die noch häufig vorhandene »Sprachlosigkeit« und Unsicherheit der Partei- und Staatsfunktionäre aller Ebenen, einschließlich in Betrieben, gegenüber solchen Kräften angesehen, die ihrerseits diese Situation und alle sich daraus ergebenden Möglichkeiten rigoros in ihrem Sinne ausnutzen. Zur weiteren Erhöhung der Popularität und des Einflusses des »Neuen Forums« unter breiten Kreisen der Bevölkerung haben auch solche Maßnahmen beigetragen wie Gespräche leitender Partei- und Staatsfunktionäre mit Führungskräften des »Neuen Forums«, die feste Einbindung von Vertretern dieser Sammlungsbewegung in die Dialog- und Gesprächsrunden, die zum Teil bereits ermöglichte Selbstdarstellung solcher Kräfte in den Medien der DDR und letztlich auch der vorliegende Antrag der CDU zur Rücknahme der diesbezüglichen Entscheidung des Ministers des Innern der DDR vom 21. September 1989.3
Diese Fakten beeinflussen auch die relativ eigenständige Entwicklung und entsprechende Vorgehensweisen der territorialen Strukturen des »Neuen Forums«. Das zeigt sich z. B. im Grad der Organisiertheit – im Raum Magdeburg wird bereits mittels Computer eine Erfassung von Mitgliedern/Sympathisanten nach Personendaten sowie Daten zur Arbeitsstelle und Parteizugehörigkeit vorgenommen – sowie im Vorbringen inhaltlicher Forderungen, die zum Teil weitreichender sind als entsprechende zentrale Orientierungen des »Neuen Forums«, wie Forderungen nach Beseitigung der führenden Rolle der SED, Volksentscheid, Auflösung der Nationalen Front.4 Zunehmend werden in den territorialen Strukturen massive Angriffe gegen die Schutz- und Sicherheitsorgane geführt.
Beachtlich im Anwachsen ist der Einfluss des »Neuen Forums« unter Teilen der Arbeiterklasse. Das zeigt sich u. a. in einer zunehmenden Teilnahme von Werktätigen und zum Teil geschlossener Arbeitskollektive an Veranstaltungen des »Neuen Forums«, in einem im Vergleich zu Leitern und Funktionären in Betrieben teilweise wachsenden Einfluss von Kräften des »Neuen Forums« bei Arbeitern sowie in Einzelfällen im Auftreten von Werktätigen gegen Maßnahmen zur Unterbindung des Wirksamwerdens des »Neuen Forums« in Betrieben. So kam es z. B. im VEB Press- und Schmiedewerk Brand-Erbisdorf zu einer befristeten Arbeitsniederlegung von über 50 Werktätigen zur Erzwingung der Rücknahme einer Entscheidung der Betriebsparteileitung, die einen Aufruf des »Neuen Forums« von der Wandzeitung entfernt hatte. Androhungen von Arbeitsniederlegungen im Zusammenhang mit Aktivitäten gegen das »Neue Forum« gab es auch in anderen Betrieben.
Aus Führungskreisen des »Neuen Forums« wurden dem MfS streng vertraulich bekannt:
Über das strategische und taktische Vorgehen bestehen nach wie vor Meinungsunterschiede. Da man sich zzt. außerstande sehe, die Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen und kein »Machtvakuum« entstehen lassen wolle, sei man gegenwärtig nicht an einer Zuspitzung der gesellschaftlichen Widersprüche in der DDR und an der Infragestellung der führenden Rolle der SED (die praktisch bereits verloren gegangen sei) interessiert. Ungeachtet dessen trage die öffentliche Bekundung zur Verfassungstreue nur einen taktischen Charakter, zumal davon wesentlich die Legalisierung des »Neuen Forums« abhänge.
In Vorbereitung auf die erwartete offizielle Zulassung und in Reaktion u. a. auf entsprechende Vorhalte5 durch das Mitglied des Politbüros des ZK der SED, Genossen Schabowski,6 gegenüber Prof. Reich7 und Pflugbeil8 wird verstärkt auf die Ausarbeitung eines Programms orientiert, das auf dem bekannten zentralen Treffen des »Neuen Forums« am 11. November 1989 in der Christuskirche in Berlin-Oberschöneweide zur Diskussion gestellt werden solle.9
Die Politik der Wende der SED wird von Führungskräften des »Neuen Forums« mit Misstrauen betrachtet, und bisherige Entscheidungen von Partei und Regierung werden als Zugeständnisse angesichts der gegenwärtigen Lage beurteilt. Man erachte es aber auch künftig für notwendig, das Dialogangebot von Staat und SED zum Stellen von Forderungen zu nutzen und in öffentlichen Diskussionen die »Fehler der Vergangenheit« bloßzulegen. Ziel sei es ferner, die verfassungsmäßigen Rechte einklagbar zu gestalten. Hinsichtlich des taktischen Vorgehens wird auch weiterhin auf öffentliche Demonstrationen orientiert. die man organisatorisch im Griff haben müsse, um Provokationen zu verhindern.
Keine konkreten Vorstellungen könne das »Neue Forum« gegenwärtig zur Lösung volkswirtschaftlicher Problemstellungen anbieten. Ein Zusammengehen mit den anderen Parteien im Demokratischen Block10 wolle man weniger im Sinne einer politischen Zusammenarbeit, sondern mehr aus praktischen Erwägungen wegen der Nutzung der Möglichkeiten und der materiellen Basis dieser Parteien für die eigenen Ziele. Erste Zusammenkünfte zwischen Führungskräften des »Neuen Forums« und z. B. leitenden Funktionären der LDPD haben bereits stattgefunden; weitere sind terminisiert.
Kontakte zu legalen Basen des Gegners in der DDR11 und zu politischen Kräften in der BRD und Westberlin werden als notwendige Bedingung für die Arbeit des »Neuen Forums« angesehen.
Durch Führungskräfte anderer Sammlungsbewegungen wird darauf orientiert, dass die bestehenden »oppositionellen Gruppen« sich gegenwärtig nicht zusammenschließen sollten, da ein gewisser Pluralismus gebraucht werde. Zu den kommenden Wahlen sei jedoch ein gemeinsames Vorgehen auf der Grundlage eines gemeinsamen Wahlprogrammes notwendig. In diesem Zusammenhang wird auch darauf verwiesen, dass die vorhandenen Sammlungsbewegungen nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung der DDR seien.
Erkennbar sind Bestrebungen feindlicher, oppositioneller Kräfte, neue Sammlungsbewegungen/Parteien zu schaffen bzw. bestehende personelle Zusammenschlüsse in diesem Sinne zu aktivieren und zu profilieren:
1. Am 5. November 1989 fand in der Bekenntniskirche in Berlin-Treptow eine Veranstaltung zum Thema »Nachdenken – Gedanken über eine grüne alternative Partei in der DDR« statt (ca. 400 Teilnehmer), die als Gründungsveranstaltung für eine »Grüne Alternative Partei« gedacht war.12 Zu diesem Zweck wurden entsprechende Konzeptionspapiere (Anlage 1) vorher verbreitet, verlesen und zur Diskussion gestellt. Im Ergebnis kontroverser Diskussionen setzte sich der Standpunkt durch, dass die auf dem Gebiet des Umweltschutzes vorhandenen Strukturen ausreichen würden.
Bestrebungen der Initiatoren zur Bildung einer sogenannten Grünen Partei – dazu gehören u. a. der personelle Zusammenschluss »Ökologie und Menschenrechte« Berlin13 und Pfarrer Hilse14 (Bekenntniskirche Berlin-Treptow) – blieben somit vorerst ergebnislos.
2. Im Ergebnis eines langfristig geplanten Treffens des personellen Zusammenschlusses »Initiative Frieden und Menschenrechte« Berlin (IFM)15 Ende Oktober 1989 wurden fünf Regionalgruppen (Berlin, Potsdam, Magdeburg, Leipzig und Dresden) und 15 thematische Projektgruppen geschaffen, Kontaktadressen und sogenannte Sprecher benannt (darunter die hinlänglich bekannten Werner Fischer16 und Gerd Poppe17) sowie ein »Selbstverständnis der IFM« verabschiedet.18 Erklärtes Ziel der IFM sei es, in einer landesweiten Zusammenarbeit Strukturen zu entwickeln die dazu beitragen, die »unteilbaren Menschenrechte« durchzusetzen. Unter Gewaltverzicht wolle man sich gegen alle autoritären Strukturen sowie gegen die Ausgrenzung von Minderheiten einsetzen und alle diejenigen Kräfte unterstützen, die gegen den Führungsanspruch der SED sind. Die Zusammenarbeit mit bestehenden Sammlungsbewegungen wolle man auf einzelne Ziele, z. B. ein Wahlbündnis, begrenzen.
Sammlungsbewegungen hatten erneut wesentlichen Einfluss auf politisch-geprägte Veranstaltungen in Kirchen und auf Demonstrationen:
Im Zeitraum vom 30. Oktober bis 5. November 1989 fanden ca. 230 politisch geprägte Veranstaltungen mit fast 300 000 Teilnehmern in kirchlichen Räumen statt. Das ist eine wesentliche Zunahme sowohl von der Anzahl her als auch hinsichtlich der Beteiligung gegenüber der Vorwoche. Insbesondere in den Südbezirken Gera, Karl-Marx-Stadt und Erfurt ist eine territoriale Ausweitung solcher Veranstaltungen von den Bezirksstädten auf Kreisstädte und Gemeinden zu verzeichnen. Die eindeutige politische Ausrichtung solcher Veranstaltungen wird bereits durch deren Ankündigung und Bezeichnung immer deutlicher: »Gebete für gesellschaftliche Erneuerung«, »Das Schweigen hat ein Ende«, »Gebete für unser Land« bzw. »(Un-)sichere Zukunft«. Die bekannten Sammlungsbewegungen nutzen nach wie vor diese Veranstaltungen, um sich zu profilieren und zu stabilisieren (Gründung von Basisgruppen in den Städten und Gemeinden), Thematische Arbeitsgruppen organisieren sachbezogen Veranstaltungen zu Fragen der Ökonomie, Ökologie bzw. des Wahlrechtes.
Bekannte kirchliche Amtsträger und Vertreter antisozialistischer Sammlungsbewegungen, wie die Pfarrer Tschiche19 (Magdeburg) und Schorlemmer20 (Wittenberg) heizen nach wie vor zu solchen Veranstaltungen die Stimmung gegen die Partei- und Staatsführung an; vor allem orientieren sie auf die weitere Durchführung von Demonstrationen als politisches Mittel zur Druckausübung. In diesem Sinne forderte Pfarrer Schorlemmer demagogisch die Veranstaltungsteilnehmer in der Schlosskirche Wittenberg (31.10.[1989] – 6 500) auf, an Demonstrationen teilzunehmen und sich nicht zu wehren, wenn durch die Sicherheitsorgane Transparente weggenommen werden und sich nicht von Skinheads provozieren zu lassen, da diese durch den Staat gezielt eingesetzt würden. Insbesondere Forderungen und Vorhalte gegenüber den Schutz- und Sicherheitsorganen weisen eine zunehmende Aggressivität auf. Fortgesetzt werden die in Kirchen Versammelten aufgefordert, sogenannte Augenzeugenberichte zu den Vorkommnissen am 7. und 8.10.[1989]21 zu sammeln und den kirchlichen Amtsträgern zu übergeben.
Immer wieder wird darüber hinaus in sogenannten kirchlichen Veranstaltungen der Anspruch der Kirche auf das politische Mandat des Volkes bekräftigt und der Führungsanspruch der Partei der Arbeiterklasse angegriffen bzw. verneint. Vorliegenden Hinweisen zufolge nimmt die Gethsemanekirche in Berlin-Prenzlauer Berg eine gewisse Koordinierungsfunktion bei der Initiierung und Lenkung politischer Aktionen ein.
Im Ergebnis sowohl des anhaltenden Drucks von Kräften aus Sammlungsbewegungen als auch der Fortführung des Dialogs kam es in der Woche vom 30. Oktober bis 5. November 1989 ebenfalls zu einer Ausweitung öffentlicher Demonstrationen und Massenansammlungen in allen Bezirken der DDR und der Hauptstadt Berlin. Bei gestiegener Anzahl solcher Veranstaltungen hat sich die Zahl der daran teilnehmenden Personen verdreifacht. Nach vorliegenden Hinweisen beteiligten sich über 1,35 Millionen Menschen an mehr als 210 Demonstrationen, Kundgebungen u. ä. Veranstaltungen (Vorwoche: 145/über 540 000 Teilnehmer).
Territoriale Schwerpunkte bildeten wiederum die Bezirksstädte mit Teilnehmerzahlen zwischen 10 000 und 250 000, vor allem Berlin (250 000) und Leipzig (200 000). Demonstrationen in Kreisstädten haben zugenommen und erreichen Teilnehmerzahlen, die denen der Bezirksstädte vergleichbar sind – Plauen (30 000), Dessau (35 000), Nordhausen (20 000), Hoyerswerda und Quedlinburg (je 15 000). Auch in anderen bedeutsamen Industriestädten kam es zu größeren Demonstrationen. Nach wie vor standen Demonstrationen in engem Zusammenhang mit vorausgegangenen politischen Veranstaltungen in evangelischen und katholischen Kirchen, in zunehmendem Maße aber auch mit Dialogveranstaltungen. Initiatoren aus Sammlungsbewegungen und kirchliche Amtsträger intensivierten ihre Bemühungen, Demonstrationstermine aufeinander abzustimmen und »Traditionen« nach Leipziger Vorbild zu entwickeln.22
Durch die staatlichen Organe wurden erstmalig Demonstrationen genehmigt (17). Bedingt dadurch und infolge des durch Führungskräfte von Sammlungsbewegungen in demagogischer Art und Weise vermittelten Eindruckes, wonach mit den Demonstrationen die eingeleitete Wende in der gesellschaftlichen Entwicklung »erzwungen« worden sei, hat die Bereitschaft breiter Bevölkerungsschichten zugenommen, sich an friedlichen Demonstrationen zu beteiligen, um damit auf noch bestehende gesellschaftliche und territoriale Probleme aufmerksam zu machen. Zunehmend werden Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren in die Demonstrationen einbezogen. Die Zahl der in den Demonstrationen mitgeführten Transparente und Losungen sowie der Sprechchöre (Zusammenfassende Darstellung des Inhalts von Losungen bzw. Sprechchören vgl. Anlage 2) ist weiter gewachsen. Inhaltlich erfuhren sie eine stärkere und aggressivere Ausrichtung auf Angriffe gegen die Partei und ihre führende Rolle sowie in erheblich gesteigertem Umfang gegen die Tätigkeit des MfS. Meinungsäußerungen von Demonstranten, demonstrative Beifallsbekundungen und auch die öffentliche Toleranz vor allem gegenüber solchen Sprechchören lassen erkennen, dass man sich zunehmend damit identifiziert. Weiter ist erkennbar, dass anstelle bisher massenhaft erhobener Forderungen nach Zulassung antisozialistischer Sammlungsbewegungen zunehmend Forderungen nach Beseitigung der in der Verfassung verankerten führenden Rolle der Partei in den Vordergrund rücken. Neu waren Solidarisierungs-Losungen mit den antisozialistischen Kräften in der ČSSR und zur Entwicklung in Ungarn.23 Auffallend ist weiterhin die geringe Zahl von Losungen, die ökonomische Problemstellungen beinhalten.
Demonstrationen in verschiedenen Städten lassen erkennen, dass vor allem jugendliche Personenkreise die Stimmung anzuheizen versuchen, darunter vielfach angetrunkene, asoziale und als kriminell gefährdet bekannte Personen. Es mehren sich Sprechchöre faschistischen und rassistischen Charakters.
Ein harter Kern von Demonstranten versucht immer wieder die Auflösung von Demonstrationen zu verzögern (mit aggressiven Sprechchören wie »Auf in den Kampf«) bzw. Demonstrationszüge auf Objekte der Partei, des Staatsapparates und auf Dienstobjekte des MfS zu orientieren.
Demonstrationen in Kreis- und Bezirksstädten werden fast ausnahmslos an den Objekten der Kreis- und Bezirksleitungen der SED sowie den Dienstobjekten des MfS vorbeigeführt. In Halle wurde die SED-Bezirksleitung zeitweilig völlig durch Demonstranten eingeschlossen. Versuche einzelner Jugendlicher, in das Objekt einzudringen, wurden durch andere Demonstranten verhindert. In Rostock und Leipzig spitzte sich die Situation vor den Dienstobjekten des MfS zeitweilig zu. Kleinere Gruppen provokatorisch auftretender Demonstranten verursachten hier wiederholt Zwischenaufenthalte und heizten die Stimmung durch Sprechchöre gegen das MfS an, u. a. mit dem Ziel die Mitarbeiter des Sicherheitsorgans zu unkontrollierten Handlungen zu provozieren. Auch in anderen Städten kam es vor Objekten des MfS zu handlungsstimulierenden Aufputschungsrufen wie: »Brennt das Haus nieder«, »Stasi-Schweine raus«, »Schlagt sie tot« oder »Die Messer sind gewetzt, die Stricke liegen bereit«. Daraus erwachsen erhebliche Gefahren für die staatliche Sicherheit und öffentliche Ordnung. Andererseits ist erkennbar, dass die Organisatoren von Demonstrationen – zum Teil unterstützt durch kirchliche Kräfte – zunehmend dazu übergehen, eigenständige Maßnahmen zur Verhinderung vor Provokationen zu ergreifen (eigene Ordner, vorzeitiger Abbruch von Veranstaltungen, Bildung von Sperrketten vor Dienstobjekten des MfS).
Anlage 1 zur Information Nr. 496/89
[Abschrift des Papiers] »Die ›Grüne Alternative Partei‹ in der DDR«
Die Sorge um die Menschen in unserem Land lässt uns in Verantwortung zusammenkommen, um ökologische und gesellschaftliche Umgestaltung zu fordern. Unser Land blutet sinnlos aus, da viele Menschen keine Zukunft mehr in der DDR sehen. Sie entscheiden sich für einen Neubeginn im Westen.
Alle Menschen, die sich für grundlegende Veränderungen in unserem Land einsetzen wollen, sind aufgerufen, sich uns anzuschließen. Wir verstehen uns als demokratische-ökologische Bewegung, die sich für einen demokratischen gewaltfreien Dialog einsetzt und eine Zusammenarbeit mit allen verantwortungsbewusst denkenden Menschen in diesem Land anstrebt.
Viele Lebensbereiche der Menschheit sind bereits heute akut bedroht. Global geht es mehr denn je um das Überleben der Menschheit und damit um die Zukunft unserer Kinder. Der Missbrauch der wissenschaftlich-technischen Revolution schafft Umweltgefahren von unvorstellbarem Ausmaß. Verunreinigung der Luft, Verschmutzung der Gewässer, Erwärmung der Atmosphäre und chemische Vergiftung beeinträchtigen und zerstören unsere Lebensbedingungen.
Mitarbeiter/in kann jeder werden, der sich den Grundlagen dieses Statuts verpflichtet fühlt, unabhängig von Nationalität, Geschlecht, Staatsbürgerschaft, und seinen Wohnsitz in der DDR hat.
Zur Struktur
Bildung von regionalen Anlaufstellen, die regelmäßig und kontinuierlich Verbindung halten zur Geschäftsführung bestehend aus:
- –
Geschäftsführer/in
- –
Sekretär/in Internationale Beziehungen
- –
Sekretär/in Nationale Beziehungen
- –
Pressesprecher/in
- –
Schatzmeister/in
Im Frühjahr und im Herbst stattfindende Vollversammlungen werden über die DDR-weite Arbeit entscheiden.
Die GAP finanziert sich aus Spenden und Parteibeiträgen der Mitglieder, die mindestens ein Prozent des Nettoeinkommens eines jeden betragen. Auf den Parteitagen werden Haushaltspläne erstellt, Umlagenbeschlüsse verabschiedet. Das Vermögen der Partei ist Gesamteigentum vgl. § 42 ZGB.24
Anlaufstelle: | Bekenntniskirche | Plosserstraße 3–4 | Berlin-Treptow | 1139
Grüne Liste?! | Stand: 1. Oktober 1989
Diskussionspapier zur Koordinierung der grünen Kräfte in der DDR
1. Wie kann eine weitere Koordination aller grünen Kräfte in der DDR aussehen?
- a)
Sammlungsbewegung als unstrukturierte Koordination
- b)
Grüne Liste als strukturierte Bewegung verschiedener Initiativen
- c)
Grüne Partei
2. Wie soll das Verhältnis zu anderen Reformkräften in der DDR gestaltet werden?
- a)
Integration in Sammlungsbewegung, z. B. Neues Forum, von vornherein
- b)
Koalition mit anderen Reformkräften
- c)
völlige Selbstständigkeit und nach der Etablierung Überlegungen zur Zusammenarbeit
3. Vorschlag für Kräfte, die für diese Idee angesprochen werden sollten:
- –
Mitarbeiter der Gesellschaft für Natur und Umwelt (GNU)25
- –
»arche«-Gruppen/Mitarbeiter26
- –
andere kirchliche Umwelt- und Ökologiegruppen
- –
Einzelengagierte wie z. B. Wissenschaftler
- –
Gruppe »Umweltschutz« beim VBK
- –
Aktiv »Literatur und Umwelt« beim Schriftstellerverband
- –
Umweltbeauftragte der Räte
- –
andere Offizielle
4. Welche Identität behält die jeweilige Gruppe/Initiative?
5. Mit welcher politischen Ausrichtung sollte diese Grüne Initiative wirken?
- –
Ausarbeitung eines öko.-sozialistischen Wirtschaftskonzepts
- –
Alternativkonzepte im kommunalen und persönlichen Bereich
- –
Verantwortlichkeiten jedes Bürgers für die Gesellschaft
- –
Reformen der Subventionen nach ökologischen Gesichtspunkten
- –
Reformen in öffentlichen Institutionen: Volksbildung, innere und äußere Sicherheit, Justiz, Medien, Kunst u. a. (und wie?)
- –
Entwicklung neuer Wertvorstellung für eine überlebungsfähige [sic!] Gesellschaft
- –
reale Kommunal- und Bürgerpolitik
- –
Information über die reale Umweltsituation
- –
Umgestaltung der Energiewirtschaft
6. Wie sollte die internationale Zusammenarbeit aussehen?
- –
Zusammenarbeit mit Grünen Parteien und Gruppierungen in Ost- und Westeuropa
7. Wie kann die Struktur der Bewegung aussehen? Wo liegen welche Verantwortlichkeiten?
- –
regionale Gliederung (wie?)
- –
thematische Gliederung
- –
projektgebundene Gliederung
8. Wie sollte die Gründung erfolgen?
- –
schrittweises Heranwachsen aus der Basis
- –
Bildung eines Koordinierungsausschusses, der ein Basispapier zu einem festen Termin veröffentlicht und anschließend in Zusammenarbeit mit Fachleuten Erarbeitung eines Programms bzw. Gesellschaftskonzeptes
Anlage 2 zur Information Nr. 496/89
Zusammenfassende Darstellung des Inhalts von Losungen und Sprechchören
1. Beseitigung des Verfassungsgrundsatzes der führenden Rolle der Partei,27 Forderung nach Machtteilung bzw. auch Aufgabe der politischen Macht; Forderung nach Beseitigung von Organisationsstrukturen der SED in einzelnen gesellschaftlichen Bereichen (vor allem in den Betrieben und im Staatsapparat) bzw. nach Spaltung und Liquidierung der Partei;
2. Zulassung des »Neuen Forums«, antisozialistischer Sammlungsbewegungen und von Bürgerinitiativen;
3. Ablehnung bestehender gesellschaftlicher Organisationen wegen ihrer »Abhängigkeit von der Partei« und Forderung nach Neuformierung als »unabhängige« gesellschaftliche Kräfte (vor allem FDGB, FDJ, aber auch KB); Auflösung des Demokratischen Blocks der Parteien und Organisationen;
4. Misstrauen gegenüber dem Partei- und Staatsapparat und der eingeleiteten Politik der Wende, verbunden mit Forderungen nach gesellschaftlicher Kontrolle staatlicher Entscheidungen und Einbeziehung des Volkes in die Entscheidungsvorbereitung; Forderungen nach Ablösung von Partei- und Staatsfunktionären aller Ebenen sowie nach Bestrafung von Machtmissbrauch und der Schuldigen für die entstandene innenpolitische Lage;
5. Angriffe auf die Schutz- und Sicherheitsorgane mit dem Schwerpunkt MfS: Auflösung bzw. Reduzierung des MfS auf 50 %, seine Einbindung in Strukturen des MdI, Liquidierung der Funktion im Inneren, Unvereinbarkeit von Rechtssicherheit und Staatssicherheit, einseitige Schuldzuweisung für entstandene innenpolitische Situation, Verleumdung/Beleidigung der Mitarbeiter; Forderung nach unabhängigem Untersuchungsausschuss zur Tätigkeit des MfS; auch: Abschaffung der Kampfgruppen28 und der Zivilverteidigung,29 in Einzelfällen der VP, der GT30 und der NVA; des Weiteren Forderung nach Aufhebung von Maßnahmen der Grenzsicherung (Abbau Grenzsicherungsanlagen, Aufhebung Sperrgebiete);
6. Aufforderungen zum Dialog und einem massenverbundenen Arbeitsstil der Partei- und Staatsorgane, Abbau von Bürokratie und Privilegien, Offenheit und Ehrlichkeit in allen die gesellschaftliche Entwicklung betreffenden Fragen; in Einzelfällen auch Ablehnung des Dialogs;
7. Forderung nach Weiterführung der begonnenen Wende in der gesellschaftlichen Entwicklung und deren Ausgestaltung durch im Alltag erlebbare/nachvollziehbare konkrete Taten; Aufforderung zum Verbleiben in der DDR, um hier Veränderungen zu bewirken;
3. Allgemeine Forderungen nach Freiheit, Demokratie, Pluralismus, Reformen und Umgestaltung, nach Gewährleistung der individuellen (bürgerlichen) Menschenrechte (Demonstrationsfreiheit, Reisefreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit, Recht auf Vereinigung, »freie Wahlen«);
9. Forderungen nach Ausbau der Rechtsstaatlichkeit und umfassender Wahrung der Gesetzlichkeit, verbunden mit Forderung nach Rehabilitierung und Freilassung »aller politisch Verfolgten«; Verfassungsreform, Neugestaltung des Wahlgesetzes und des Strafrechts durch Volksaussprache und Volksentscheid, rechtliche Ausgestaltung der individuellen Menschenrechte, massive Forderungen nach Neuwahlen (sofort, 1990, unter UNO-Aufsicht);
10. Forderungen nach Reformen im Bildungswesen, der Umweltschutzpolitik, im Städtebau, Gesundheits- und Sozialwesen, in der Medien- und Kulturpolitik (vor allen Abschaffung der Zensur);
11. Ökonomische Forderungen (leistungsgerechte Entlohnung, Preissenkung, Abschaffung der Delikat-, Exquisit- und Intershop-Läden,31 Verbesserung der Versorgung, Offenlegung der Valuta-Politik32), Forderung nach Veränderung der sozialökonomischen Grundlagen des gesellschaftlichen Systems in der DDR (freie Marktwirtschaft, privates Unternehmertum);
12. Übernahme chauvinistischer und revanchistischer Losungen nach Wiedervereinigung; Losungen faschistischen und rassistischen Charakters;
13. Solidarisierung mit oppositionellen Gruppierungen in sozialistischen Staaten (vor allem ČSSR und Ungarn);
14. Aufgreifen von Losungen aus der Geschichte der Arbeiterbewegung