Zusammenkunft von AL-Mitgliedern und DDR-Umweltaktivisten
27. Juli 1989
Information Nr. 354/89 über eine Zusammenkunft von Mitgliedern der Alternativen Liste (AL) im Westberliner Abgeordnetenhaus mit Mitgliedern personeller Zusammenschlüsse in der Hauptstadt der DDR, Berlin
Nach dem MfS streng intern vorliegenden Hinweisen kam es am 13. Juli 1989 in von der sogenannten Umweltbibliothek1 genutzten Räumen der evangelischen Zionskirchengemeinde zu einer mehrstündigen Zusammenkunft der Mitglieder des Westberliner Abgeordnetenhauses der AL Hartwig Berger,2 Bernd Köppl3 und Michael Cramer4 und des AL-Mitgliedes Johannes Spatz5 mit hinlänglich bekannten Mitgliedern der »Umweltbibliothek« (u. a. Rüddenklau6) und des »Grün-ökologischen Netzwerkes Arche«7 (u. a. Voigt,8 Schult9).
Inhaltlicher Schwerpunkt des Treffens war die Beratung über eine »Gemeinsame Erklärung zur grenzüberschreitenden Luftpolitik in Berlin (West) und Berlin/DDR«. (Wesentliche Aspekte dieser »Gemeinsamen Erklärung« – Textentwurf als Anlage beigefügt – wurden am 20. Juli 1989 in der Westberliner Zeitung »Der Tagesspiegel«10 publiziert.)
Darin werden Vorschläge unterbreitet und Forderungen erhoben nach Durchsetzung eines gemeinsamen Smogalarmsystems und einer gemeinsamen Smogverordnung in beiden Teilen von Berlin sowie nach Einführung eines sogenannten Berliner Luft-Pfennigs auf jede verbrauchte Kilowattstunde an Elektroenergie, um zusätzliche finanzielle Mittel für Umweltschutzmaßnahmen bereitstellen zu können und einen Anreiz zur Energieeinsparung zu schaffen. Die »Gemeinsame Erklärung« wurde von den Anwesenden als konkretes Ergebnis der bisherigen Zusammenarbeit der AL mit Umweltschutzgruppen in der DDR gewürdigt und in diesem Sinne beschlossen. Sie wird künftig als sogenanntes Basispapier betrachtet, auf dessen Grundlage weitere gemeinsame Projekte aufbauen sollen. So wurde z. B. sofort durch die anwesenden Mitglieder der »Umweltbibliothek« und des »Grün-ökologischen Netzwerkes Arche« eine gemeinsame Gruppe »Müll« gebildet, die am Projekt »Mülldeponie Schöneiche«11 weiterarbeiten und entsprechende Kontakte zur AL unterhalten soll.
Beraten wurde ferner über die
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Realisierung des zwischen der DDR und Berlin (West) abgeschlossenen Vertrages zur Müllentsorgung von Westberlin,
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Verwendung gesundheitsschädigender Stoffe in der Wirtschaft (z. B. Asbest) und deren gefahrlose Ablagerung auf Deponien,
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Erfassung und Beseitigung umweltbelastender Stoffe (u. a. FCKW in Haushaltkühlschränken) usw.
Rüddenklau unterbreitete den Vorschlag zur Erarbeitung eines »Atlas der Mülltransportwege« vor allem aus der BRD und Westberlin in die DDR, der als Grundlage für eine gezielte »Streckenkontrolle« (Feststellung über Menge, Zusammensetzung und Zeitpunkt von Mülltransporten) dienen soll. Die gesammelten Informationen sind – so Rüddenklau – für regelmäßige Veröffentlichungen u. a. in dem nicht genehmigten sogenannten Informationsblatt »Umweltblätter«12 vorgesehen.
Auf gezielte Fragestellungen, weshalb der Regierende Bürgermeister von Berlin (West) und weitere Westberliner Politiker Einladungen zum Besuch der »Umweltbibliothek« bisher nicht gefolgt seien, wurde seitens der AL-Vertreter darauf verwiesen, dass sich der Senat von Westberlin gegenwärtig in einer komplizierten Lage befinde. Primär müssen Kontakte zu den offiziellen Stellen in der DDR aufgenommen werden. Separate Verhandlungen mit »autonomen Gruppen« in der DDR würden einer »Anerkennung des Alleinvertretungsanspruches des Senats von Westberlin für ganz Berlin« gleichkommen. Das wolle die AL jedoch keinesfalls. Daraus erwüchsen auch Probleme der AL bei der Gestaltung ihrer Zusammenarbeit mit derartigen Gruppen in der DDR.
In Begleitung des hinlänglich bekannten Matthias Voigt (»Arche«) begaben sich die AL-Vertreter nach der Zusammenkunft nach Schöneiche, um das Gebiet der Deponie in Augenschein zu nehmen (keine offizielle Besichtigung).
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Anlage zur Information Nr. 354/89
Entwurf
Gemeinsame Erklärung zur grenzübergreifenden Luftpolitik in Berlin (West) und Berlin (DDR)
1. Wir wollen ein gemeinsames Smogwarnsystem in beiden Städten mit täglicher Veröffentlichung der gemessenen Daten durchsetzen. Berlin (West) soll sich an der Errichtung von Messstellen in Berlin (DDR) technisch wie finanziell beteiligen, wenn die öffentliche Zugänglichkeit der Daten gesichert ist.
Als kurzfristige Regelung können auch Messstellen aus Berlin (West) nach Berlin (DDR) verlagert werden.
2. Wir wollen eine gemeinsame Smogverordnung für Berlin (West) und Berlin (DDR) durchsetzen. Maßstab sollte eine Verschärfung der bestehenden Verordnung für Berlin (West) sein. Verglichen zur jetzigen Regelung muss Schwebstaub, der wegen seiner Lungengängigkeit besonders gefährlich ist, stärker gewichtet und die Stufen des Smogalarms verdichtet werden. Fahrverbote sollten in Berlin (West) für alle Autos ohne geregelten Drei-Wegekatalysator gelten, während in Berlin (DDR) Busse, Lieferverkehr und Behördenfahrzeuge auszunehmen sind.
Zugleich schlagen wir ein stadtübergreifendes Forschungs- und Entwicklungsprojekt vor, das die Einbaufähigkeit von Katalysatoren und die Umstellung auf bleifreies Benzin für Autofabrikate der DDR untersucht.
3. Wir schlagen die Einführung des Berliner Luft-Pfennigs vor.
Er wird auf jede in Berlin (West) und Berlin (DDR) verbrauchte Kilowattstunde erhoben.
Die zusammenkommenden Geldmittel werden für Umweltschutzmaßnahmen in Kraftwerken verwendet, die die Berliner Luft belasten. Zu denken ist einmal an den Bau von Reinigungstechniken, die die Emission von Rauchgasen mindern, zum anderen an Modernisierungen von Kraftwerken, die den Grad der Energieausnutzung steigern und demzufolge die Emission des klimaschädigenden Spurengases Kohlendioxid verringern.
Zusätzlich verschafft der Berliner Luft-Pfennig einen grenzüberschreitenden Anreiz zur Energieeinsparung.
Die Umweltschutzmaßnahmen und energietechnischen Modernisierungen, die über den Luft-Pfennig finanziert werden, sollten als gemeinsames Projekt von volkseigenen Betrieben und Forschungseinrichtungen der DDR und Firmen und Forschungsstätten aus Berlin (West) durchgeführt werden.
Der Berliner Luft-Pfennig hätte auch kurzfristig eine enorme Wirkung. Allein West-Berlin verzeichnete 1987 einen absoluten Stromverbrauch von 9,4 Terawattstunden; dem entspräche eine Mehreinnahme per Luft-Pfennig von 94 Mio. DM jährlich. Nach Expertenschätzungen kostet die Entschwefelung des 1050-Megawatt Kraftwerks »Schwarze Pumpe« im Süden Berlins 200 Mio. DM. Die »Schwarze Pumpe« emittiert im Jahr 315 000 t Schwefeldioxid und schlägt in der S02-Jahresbelastung der (West-)Berliner Luft merkbar, nämlich mit 3,7 % zu Buche. Mit gut zwei Jahren Luft-Pfennig (nur West-Berlin) wären die Rauchgasreinigung dieses Werks und damit eine spürbare Entlastung der Berliner Luft finanziert!